Forschung und Entwicklung.

Wichern-Institut Rummelsberg

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12.04.2019

Forschungsergebnisse geben Impulse für die diakonische Praxis

2. Wichern-Dialog bringt Wissenschaftler und Praktiker in Altdorf zusammen

Altdorf – Vor fast genau vier Jahren haben die Rummelsberger Diakonie und die Evangelische Hochschule Nürnberg am ehemaligen Standort der Alten Universität in Altdorf das Wichern-Institut gegründet. An diesen „historischen Tag“ erinnerte Prof. Dr. Barbara Städtler-Mach, Präsidentin der Evangelischen Hochschule Nürnberg (EVHN), am Donnerstag bei der Eröffnung des 2. Wichern-Dialogs für diakonische Praxisforschung und Konzeptentwicklung. Ziel des Wichern-Instituts ist die Förderung der Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis. Zahlreiche Fachkräfte und wissenschaftliche Mitarbeitende waren ins Wichernhaus gekommen, um mehr über die Ergebnisse dreier Forschungsprojekte aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe und Bildung zu erfahren.

Präsidentin Städler-Mach betonte, dass schon Johann Hinrich Wichern sich für eine lebensweltliche Theologie und die Reflexion der diakonischen Arbeit eingesetzt habe. Dr. Günter Breitenbach, Vorstandsvorsitzender der Rummelsberger Diakonie, lobte die gute Zusammenarbeit mit der Evangelischen Hochschule. „Die Forschungsprojekte sind eine große Chance“, so Breitenbach. Mit Olaf Forkel stellte er außerdem den neuen Geschäftsführer des Wichern-Instituts vor, der den Wichern-Dialog gemeinsam mit Prof. Dr. Joachim König von der EVHN moderierte. König sagte, durch Praxisforschung und Evaluation könne man die alltägliche Praxis auf den Prüfstand stellen und etwas besser machen. „Wir können klären: Warum wirkt ein Konzept und ein anderes nicht?“ So lasse sich die Qualität der Praxis erhöhen und das fachliche Handeln auf Basis von belastbaren Ergebnissen begründen.

Im ersten Forschungsprojekt hatten sich die Studierenden Yvonne Hampel, Lisa Herfurth, Lena Hießleitner und Martina Lenkowski unter fachlicher Begleitung von Prof. Dr. Helene Ignatzi mit der Frage befasst, wie Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen der Altenpflege am besten untergebracht werden. Sie untersuchten, welche Vor- und Nachteile es bietet, wenn Menschen mit dementieller Erkrankung in einem eigenen Wohnbereich oder gemeinsam mit nicht erkrankten Seniorinnen und Senioren leben. Dazu führten die Studentinnen der Sozialen Gerontologie am Rummelsberger Stift St. Lorenz in Nürnberg sowohl eine Beobachtung von an Demenz erkrankten Bewohnerinnen als auch eine Befragung von Mitarbeitenden durch.

Mehr positive Emotionen

Martina Lenkowski berichtete, die Gruppe sei insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass die Unterbringung der erkrankten Bewohner in einem eigenen Wohnbereich mehr Vorteile ergeben habe. Hier hätten die Bewohnerinnen mehr positive Emotionen wie Freude oder Zufriedenheit gezeigt. Außerdem gebe es weniger Konflikte, etwa beim Essen. „Das deckt sich mit den Erfahrungen der Mitarbeitenden“, sagte Lenkowski. Allerdings habe die Untersuchung auch gezeigt, dass Mitarbeitende des Demenz-Wohnbereichs ihre psychische Belastung höher einstuften als Mitarbeitende der anderen Wohnbereiche. Hier ergeben sich Ansatzpunkte für weitere Forschung. Die Ergebnisse zur Frage der Wohnform fließen bereits jetzt in die Konzeptionierung für das neue Seniorenzentrum Gottfried-Seiler in Feucht ein, berichtete Peter Kraus, Fachlicher Leiter der Rummelsberger Dienste für Menschen im Alter.

Das zweite Forschungsprojekt befasst sich mit Kindern und Jugendlichen, die andere Träger häufig nicht aufnehmen wollen. In zwei Wohngruppen in Hilpoltstein leben einige Jugendliche, die neben kognitiven und körperlichen Einschränkungen auch fremd- und selbstverletzendes Verhalten zeigen. Claudia Singleton, Laura Grimm (beide Fachkräfte der Rummelsberger Diakonie) und Karl-Hermann Rechberg von der EVHN entwickeln derzeit zwei Instrumente, die eine bessere Förderung dieser jungen Menschen ermöglichen sollen.

„Die Fachkräfte müssen hier sehr individuell fördern“, betonte Rechberg. Unterstützen soll sie dabei künftig ein „Fernziel-Klärungsbogen“. Dabei geht es darum, mit den Jugendlichen langfristig daran zu arbeiten, dass sie nach Ende der Schulpflicht in eine Wohnform wechseln, die ihren Bedürfnissen entspricht. Das Spektrum reicht von der stationären Einrichtung bis zur eigenen Wohnung. Das Motto lautet: „So viel Hilfe wie nötig, so viel Freiraum wie möglich“, so Rechberg.

Das zweite Instrument ist ein „Eskalations-Clearing“. Die Forschungsgruppe berichtete davon, dass aggressives Verhalten immer mehr zunehme. Um hier besser eingreifen zu können, sollen schwierige Situationen nach einem standardisierten Ablauf aufgearbeitet und neue Lösungen gefunden werden. Noch befinde sich das Instrument in der Testphase, im Mai soll es erstmals in den beiden Wohngruppen angewandt werden.

Weg von der Pflichterfüllung

Auch für das dritte Forschungsprojekt liegen noch keine endgültigen Ergebnisse vor. Es handelt sich um ein Schulentwicklungsprojekt an den insgesamt neun beruflichen Schulen der Rummelsberger Diakonie. Beteiligt sind Diakonin Katharina Keinki, Diakon Christian Oerthel (beide Rummelsberger Diakonie) sowie Prof. Dr. Markus Schaer und Sebastian Ottmann (beide EVHN). Es geht um das sogenannte selbstverantwortliche Lernen. Ziel ist, dass Schülerinnen und Schüler ihren Lernprozess nicht nur selbst gestalten und steuern, sondern auch die Verantwortung dafür übernehmen. „Nur weil ein Schüler im Unterricht sitzt, lernt er ja nicht“, sagte Projektleiterin Keinki. Sie sollen selbst entscheiden, wann, wie und mit wem sie lernen. „Weg von der Pflichterfüllung hin zur Potentialentfaltung“, brachte Schaer das Konzept auf den Punkt.

Um zu messen, was sich bei den Schülerinnen und Schülern verändert, werden sie einmal im Schuljahr und noch ein weiteres Mal nach Ende ihrer Ausbildung schriftlich befragt. Eine erste Befragung vergangenen Herbst habe drei verschiedene Lerntypen ergeben: selbstverantwortliche Lerner, fremdgesteuerte Lerner und angstgesteuerte Lerner. Ziel des Projekts sei es, mehr der angst- und fremdgesteuerten Lernenden zum selbstverantwortlichen Lernen zu ermutigen. Ob das gelingt, werden die regelmäßigen Befragungen zeigen.


Von: Andrea Wismath

Die Köpfe hinter dem Wichern-Dialog (v. li.): Prof. Dr. Joachim König, Vizepräsident für Forschung und Leiter des Instituts für Praxisforschung und Evaluation an der Evangelischen Hochschule Nürnberg (EVHN), Dr. Günter Breitenbach, Vorstandsvorsitzender der Rummelsberger Diakonie, Prof. Dr. Helene Ignatzi, Vizepräsidentin für Internationales/ Handlungslehre und Methoden der Sozialen Arbeit an der EVHN und Olaf Forkel, Geschäftsführer des Wichern-Instituts.

Prof. Dr. Barbara Städtler-Mach, Präsidentin der EVHN, erinnerte in ihrer Eröffnungsrede an Johann Hinrich Wichern, der sich seinerzeit bereits für eine Reflexion der diakonischen Arbeit einsetzte.

Das Interesse der Fachkräfte aus der Praxis der sozialen Arbeit an den Forschungsergebnissen war groß. Fotos: Andrea Wismath